Gefallen wollen oder müssen
In einem anderen Text habe ich meine Gedanken zum Thema Gesehenwerden geteilt. Dabei bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es gut ist, sich selbst zu akzeptieren und so zu zeigen wie man ist – und dabei unter Umständen auch Gegenwind, also Ablehnung, auszuhalten.
Vielfach ist genau das ein großes Problem: Wir können mit dem Gefühl abgelehnt zu werden nicht gut umgehen – es ist ja auch kein schönes Gefühl. Gleichwohl tragen wir es alle in uns und gehen mehr oder weniger souverän damit bzw. mit uns selbst um.
Als Kleinkinder haben wir alles, was um uns herum geschehen ist, auf uns bezogen und daraus unsere Bewältigungsstrategien für das Leben entwickelt. Aus der totalen Abhängigkeit des kleinen Kindes von den Eltern oder Erziehungspersonen haben sich Verhaltensweisen entwickelt, die im Wesentlichen darauf hinauslaufen, genügend Aufmerksamkeit zu bekommen und versorgt zu werden. Das System von Belohnung und Bestrafung wirkt auch später noch – wer nicht lieb ist, kriegt kein Eis, hat Fernsehverbot, wird ausgeschimpft usw. Lieb zu sein, also den Ansprüchen der anderen zu genügen, lohnt sich anscheinend. Dieses Prinzip setzt sich im weiteren Leben fort. Es sind nicht immer die besten, die befördert werden oder eine Gehaltserhöhung bekommen.
Aus dieser Konditionierung folgt bei vielen Menschen der Wunsch, „immer alles richtig zu machen, keinen Anhaltspunkt für Kritik zu geben, bloß nicht aufzufallen“ um der vermeintlichen Ablehnung aus dem Weg zu gehen. Und weil wir es ja so gut kennen, bemerken wir das oft nicht einmal, sondern finden es völlig normal, dass z.B. unangemessene Forderungen an uns gestellt oder Leistungen nicht hinreichend gewürdigt werden. Wir tun oder ertragen eine ganze Menge, um denjenigen zu gefallen, von denen wir uns abhängig fühlen.
Manchmal geht es tatsächlich nicht anders und man muss „die Kröte schlucken“ – das kommt vor. Problematisch wird es, wenn sich ein vorauseilender Gehorsam entwickelt und wir ohne Not die vermuteten Bedürfnisse der Mitwelt befriedigen, noch bevor irgendjemand sie überhaupt nur äußern konnte. Besonders Frauen sind von dieser Krankheit – in der englischen Sprache „the disease to please“ – häufig betroffen.
Was kann ich für mich tun, wenn ich merke, dass ich auf diese Weise funktioniere – über kurz oder lang macht das wirklich unzufrieden und oft auch krank (Burnout kommt nicht von ungefähr)? Was brauche ich wirklich? Wem will ich gefallen und wozu? Wovor habe ich Angst? Zu welchen Kompromissen bin ich noch bereit bzw. wo sind meine Grenzen?
In aller Regel stellen wir fest, dass wir uns Wertschätzung wünschen. In vielen Fällen kennen wir diese Rückmeldung tatsächlich nur in Verbindung mit irgendeiner Art von Leistung. Die Verknüpfung ist oft über lange Zeit gewachsen und wir behandeln uns auch selbst ganz automatisch so. Das Wohlbefinden will „wohlverdient“ sein, man kann doch schließlich nicht einfach so… Zunächst einmal müssen wir also wieder lernen, uns selbst zu gefallen ohne eine Leistung zu erwarten. Mich selbst in den Vordergrund zu stellen und zunächst einmal für mich zu sorgen, ist in unserer Gesellschaft allerdings nicht besonders gefragt – insbesondere bei Frauen – und deshalb auch nicht gelernt. Und dennoch: Es geht!
Gut für sich selbst zu sorgen heißt ja nun auch beim besten Willen nicht, alles andere zu vernachlässigen. Es heißt vielmehr, die eigenen Ressourcen wertschätzend zu betrachten und dafür zu sorgen, dass unser „Tank nicht leer läuft“. Das erfordert eine stärkere Fokussierung auf uns und unsere eigenen Bedürfnisse mit der Folge, dass wir auch mal in Kauf nehmen müssen, dass uns jemand dafür schief anschaut. ABER: Erst wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt – das hat nichts mit krankhafter Gier und schädlichem Egoismus zu tun, sondern mit Selbstverantwortung. Wenn ich – und da schließt sich der Kreis – also mehr Verantwortung für mein eigenes Wohlbefinden übernehme, bin ich weniger vom Wohlgefallen der anderen abhängig. Das verschafft mir Freiraum und Zufriedenheit. Ich gefalle mir selbst besser, bin zufriedener und umgänglicher und dann auch (für andere) leistungsfähiger. Ehrlich, das ist eine Überlegung wert!
© ao