Schmerz

 

Schmerz

Dieses Phänomen kennen wir alle – wem hätte nicht schon einmal etwas weh getan? Dabei ist der Schmerz als solcher gar nicht das Problem. Mir ist bewusst, dass das jetzt vielleicht provokant klingt und dennoch bin ich überzeugt davon, dass der Schmerz den wir spüren (egal wo und wie) immer nur der Hinweis darauf ist, dass es ein Problem gibt, das gesehen, gespürt, gelöst werden möchte.

Nun sind schmerzliche Empfindungen nicht unbedingt angenehm und wir haben gelernt, ihnen aus dem Weg zu gehen. Für viele Menschen fühlt sich Schmerz auch wie eine Strafe an. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn als Kinder sind wir ja tatsächlich oft genug mit Schmerz bestraft worden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Schmerz körperlich war (wir haben zum Beispiel eine Ohrfeige oder Schlimmeres kassiert) oder emotional, wenn die Antwort auf unsere „Verfehlungen“ zum Beispiel Liebesentzug war, wir vom Abendessen ausgeschlossen oder eingesperrt wurden. Das alles hat sich schmerzlich angefühlt und die Botschaft war ja auch unmissverständlich: Wenn du nicht so bist, wie ich es möchte, tu ich dir weh! Wer nicht hören will, muss fühlen.

Solche Erfahrungen verbunden mit der Tatsache, dass sich Schmerz eben wirklich meistens nicht schön anfühlt, führen – s.o. – dazu, dass wir Vermeidungsstrategien entwickeln, um den Schmerz nicht spüren zu müssen. Wir härten uns ab, lenken uns ab, betäuben das Gefühl etc. und werden damit immer unsensibler. Sozusagen schwerhörig.

Wenn wir uns der Idee öffnen, dass der Schmerz nicht das Problem sondern eher das Symptom ist, also eine Art Botschafter, können wir lernen, uns selbst wieder besser zuzuhören. Es ist eigentlich nicht die Ohrfeige, die so weh tut, sondern es sind zum Beispiel Gefühle der Machtlosigkeit, der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, die so schwer zu ertragen sind. Vielleicht ist es auch die Lieblosigkeit der Geste, die uns so verletzt oder das Gefühl der Einsamkeit, das entsteht, wenn wir uns ungeliebt fühlen. Was auch immer uns in dem Moment bewegt, hat seine Berechtigung und möchte wahrgenommen werden, damit es heil werden kann.

Die Seele ist allerdings hartnäckig und konfrontiert uns wieder und wieder genau mit dem, was wir so gern vermeiden möchten. Wir erleben Machtlosigkeit, Hilflosigkeit, Lieblosigkeit usw. und je mehr wir uns dagegen wehren, desto lauter werden die Signale. So lange, bis wir zuhören. Wir verlieren drei Jobs nacheinander, der siebenundzwanzigste Geliebte hat uns auch verlassen, unser Kind ist drogensüchtig, wir haben dauernd Geldprobleme etc. – irgendwann fliegt uns das ganze Leben um die Ohren.

Das gilt auch für Schmerzen, die unser Körper zu spüren bekommt, ohne dass jemand von außen eingreift. Das Zitat von Christian Morgenstern „Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare“ beschreibt den Zusammenhang sehr treffend. Je mehr wir uns gegen unsere Gefühle wehren (schwerhörig werden), desto lauter muss die Seele werden, um ihren Schmerz zu verkörpern. Oft genug hilft aber auch das nicht und wir bleiben im Widerstand gegen den Körperschmerz stecken, weil wir den Zusammenhang nicht erkennen können oder wollen und werden unheilbar krank.

Solche Schmerzmomente nicht als Bedrohung oder Bestrafung zu verstehen, sondern als Hinweis darauf, dass in uns etwas gespürt und geheilt werden möchte, ist nicht ganz einfach und doch nötig, um uns vom Problem zu lösen. Dafür müssen wir den Widerstand aufgeben und uns unseren Gefühlen und vor allen Dingen unseren Ängsten aussetzen indem wir sie zunächst einmal zulassen, spüren und ertragen.

Albert Einstein wird das Zitat zugeschrieben, dass man Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind. Das sieht die Seele vermutlich ganz genau so und lässt über kurz oder lang jedes Problem eskalieren, wenn wir uns der Veränderung verweigern. Wenn wir auf unser eigenes Leben schauen, können wir erkennen, dass das stimmt. Wenn wir an unseren Vermeidungsstrategien, die wir so gern als Lösung des Problems ansehen, festhalten, ändert sich nicht nichts, sondern es wird eher schlimmer als besser. Das betrifft das „äußere Leben“, also unsere wie auch immer gearteten Beziehungen zu anderen Menschen und es betrifft in aller Regel auch unseren Körper.

Nach dem neunten Bandscheibenvorfall kann ich mich natürlich darüber beklagen, dass ich als Kind kein ordentliches Bett hatte und meine Eltern das ergo verbockt haben. Vielleicht trage ich aber auch zu schwer an Verantwortungen, die mich schlicht überfordern. („Rücken“ ist nicht von ungefähr eine beliebte Managerkrankheit…) Ja, natürlich sind Knieprobleme eine Verschleißerscheinung. Weiß doch jeder. Oder bin ich vielleicht in der einen oder anderen Hinsicht unbeugsam? Der steife Nacken kommt natürlich von dieser ungesunden Bildschirmarbeit. Oder bin ich vielleicht halsstarrig? Der dauernde Schnupfen kann einem wirklich auf die Nerven gehen. Diese Viren sind ja ultralästig und werden immer aggressiver! Wovon habe ich die Nase denn so gestrichen voll?

Den Schmerz nicht zu vermeiden, sondern ihn wahrzunehmen, anzunehmen und als weisen Ratgeber zu verstehen, ist der mutige erste Schritt auf dem Weg zur Heilung.

© ao

 


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