Sicherheit

 

Sicherheit

Ich tanze gern. Ich tanze mit Männern, Frauen, Einkaufswagen und auch allein, wenn mich die Musik anspricht. Vor kurzem habe ich eine Milonga besucht, das ist ein Tanzabend für argentinischen Tango. Das besondere Merkmal dieses Tanzes ist die konsequente Anwendung des Prinzips des Führens und Folgens – es gibt keine festen Schrittfolgen, sondern eine/r führt und der/die andere folgt. Das ist in jedem Fall eine spannende Angelegenheit, vor allem wenn man die Tanzpartner im Laufe des Abends wechselt und sich immer neu aufeinander einstellen darf. An diesem Tanzabend wurde gemischte Musik aufgelegt, es gab neben vielen klassischen Tangos auch andere Musik, zu der getanzt werden konnte. Ein Tänzer ist mir dabei besonders aufgefallen: Er war sehr fleißig und hat mit jeder Dame im Raum wenigstens eine Tanda (meistens 4 Tänze, danach kommt eine kurze Pause) getanzt. Dabei hat er hat fast schon stoisch jeden Tanz gleich gestaltet. Egal, welche Musik oder welche Tänzerin – er hat immer dasselbe getanzt. Das lag nicht daran, dass er Anfänger gewesen wäre – er ist ein routinierter Tänzer und in der Szene als „alter Hase“ bekannt. Er hat es aber tatsächlich geschafft, zu einem klassischen argentinischen Tango genauso zu tanzen wie zu „Hit the road Jack“.

Das hat mich amüsiert und gleichzeitig auch nachdenklich gemacht, weil es da durchaus Parallelen zum „richtigen Leben“ gibt: Manche Menschen tanzen mit dem Leben, so wie es gerade kommt und andere tanzen ihren eigenen Tanz – egal, was gerade kommt. Das eine erfordert eine starke Bereitschaft zur Hingabe, das andere ist Sinnbild für ein starkes Bedürfnis, immer die Kontrolle zu behalten.

Damit sind wir dann im Thema: Gibt Kontrolle uns tatsächlich Sicherheit? Gibt es überhaupt objektive Sicherheit? Wie gehen wir mit dem Gefühl von Unsicherheit um? Ist Kontrolle tatsächlich besser als Vertrauen? Wie lebendig ist das Leben noch, wenn wir immer auf Nummer Sicher gehen?

Insgesamt ist das Bedürfnis nach Sicherheit natürlich individuell sehr unterschiedlich und es geht hier auch nicht darum, das im Einzelnen zu bewerten. Trotzdem kann es hilfreich sein, die eigenen Verhaltensweisen zu beleuchten und einmal genauer zu schauen, wie wir uns in Situationen verhalten, die tendenziell „Unsicherheit“ in sich tragen. Wie reagiere ich auf Herausforderungen, die mich aus meiner Komfortzone befördern? Bleibe ich bei meinen bekannten Strategien oder öffne ich mich für andere Lösungsansätze? Ignoriere ich die Herausforderung oder nehme ich sie freudig an?

Dabei bietet das Tanzen wieder schöne Analogien zum „richtigen Leben“: Ich kann ein Leben lang mit drei Tanzschritten auskommen und diese auf jede Musik tanzen oder… Ebenso kann ich immer mit demselben Menschen tanzen, oder… Ich kann auch beschließen, nur zu ganz bestimmter Musik zu tanzen und ansonsten Pause zu machen, oder alle drei Optionen miteinander kombinieren, usw. Wenn ich mich also nicht bewegen im Sinne von weiter entwickeln will, muss ich das nicht. In meinen mehr oder weniger engen Grenzen fühle ich mich sicher und alles ist gut. Das ändert sich auch erst, wenn Anforderungen an mich gestellt werden und „das Leben“ mich zwingt, meine Komfortzone zu verlassen. Das ist meistens unbequem, egal von welcher Seite ich die Sache angehe. Entweder muss ich mir dann selbst gut zureden, dass das alles so in Ordnung ist, ich den kuscheligen Platz gar nicht verlassen will und demzufolge auch nichts ändern muss – aber das fühlt sich meistens nicht besonders gut an, weil wir wissen, dass wir uns selbst belügen. Oder ich muss mich bewegen, das bedeutet zunächst einmal Unsicherheit und fühlt sich auch nicht gut an.

Wenn ich mich dagegen weiter entwickeln will und die Sache von vornherein auch so angehe, komme ich in diese Situationen meist nicht bzw. ich bewerte sie anders: Dann nehme die Herausforderung nicht als Angriff auf meine Persönlichkeit wahr, sondern eben als Gelegenheit, mein jeweiliges Repertoire zu erweitern. Ich fühle mich von dem tollen Tänzer, der da wilde Sachen führt, vermutlich immer noch überfordert, aber ich sehe auch was alles geht und kann darauf hinarbeiten, dass ich das auch bald kann, sofern ich das für erstrebenswert halte. Dabei gibt es natürlich keine Sicherheit, dass das jemals so gelingen wird, aber ich fühle mich auch nicht schlecht, nur weil ich es jetzt noch nicht kann. Außerdem kann ich neidlos anerkennen, dass jemand anders es besser kann als ich.

Das Gefühl der Sicherheit entsteht demnach nicht durch äußere Umstände, sondern durch die innere Haltung. Wenn ich ein stabiles Selbstvertrauen aufgebaut habe, wirft mich so schnell nichts aus der Achse – ich halte mein inneres Gleichgewicht auch in turbulenten Zeiten noch ganz gut. Das ist im Wesentlichen ein Lernprozess. Es stimmt, dass es manchen Menschen leichter fällt, diesen Zustand zu finden und auch zu erhalten, aber prinzipiell können wir alle dorthin gelangen – manchmal dauert es einfach etwas länger.

Grundsätzlich ist es dabei hilfreich, wenn wir uns ansehen, was uns aus dem Gleichgewicht bringt, also welche Ängste und Befürchtungen da laut werden. In den meisten Fällen ist es die Angst, „nicht gut genug“ zu sein oder so wahrgenommen zu werden. Diese Befürchtung kennt sicher jede/r und empfindet sie mehr oder weniger stark. Wichtig ist dabei, dass es sich dabei um Gedanken handelt und das Schreckensszenario nur zwischen unseren Ohren existiert. Es ist nicht real, sondern eine Befürchtung! Indem ich meine Befürchtungen und Angstszenarien anschaue und mich Ihnen aussetze, kann ich den Weg in Richtung „Sicherheit“ einschlagen. Was kann Schlimmes passieren? Was wäre das Schlimmste? Was würde ich dann tun? Meistens fällt uns etwas ein. Eben.

©ao


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