Arschengel

Arschengel

 

„Arschengel“

Soll ich den Text wirklich so nennen? Aber sie heißen ja nun einmal so, diese Wesen, die man ganz bestimmt nicht zum Kaffee einladen würde. Wir kennen Sie auch mal wieder alle: Leute, die uns mit einer unglaublichen Treffsicherheit und Penetranz mit der Nase mitten in die Themen und Fragen stoßen, die wir mit aller Macht vermeiden möchten.

Die erste Reaktion darauf ist dann meistens auch nicht besonders freundlich. Was bildet dieser A… sich denn ein, mir klarzumachen zu wollen, dass meine schön komponierte Argumentation (Das geht auf keinen Fall, weil…) im Grunde Blödsinn ist und ich doch „nur“ Angst vor den Konsequenzen meiner Entscheidung habe? Wer will das denn wissen? Oder diese lästige Nachbarin, die uns wieder und wieder und immer wieder auf die Nerven geht und uns daran erinnert, dass uns unsere Wohnung schon lange zu eng geworden ist und wir aus lauter Bequemlichkeit an einem Provisorium festhalten, anstatt nach einer anderen Bleibe zu suchen. Oder unser Kind, das Verhaltensweisen an den Tag legt, die uns schon an unseren Eltern massiv gestört haben, und uns damit auffordert, die alten Wunden zu heilen und mit den alten Lasten endlich und endgültig (naja) abzuschließen.

Mit etwas Abstand und dem festen Vorsatz, in den Ereignissen immer auch eine Lernmöglichkeit zu entdecken, stellen wir oft fest, dass dieser A… ja Recht hat und dass wir das meistens auch wissen. Gerade deshalb fühlen wir uns gestört – wir sind beim Schummeln erwischt worden oder beim Wegsehen oder beim Dummstellen usw. Das ist uns meistens irgendwie peinlich, was die Sache nicht besser macht.

Was hilft? Dem Arschengel für sein Erscheinen und den Hinweis, den er uns gegeben hat, danken. Das darf auch still und leise geschehen, niemand muss davon erfahren, aber es ist wichtig. Dann kann ich das mitunter ärgerliche Verhalten desjenigen in einen anderen Kontext setzen. Ich nehme also den Focus von der Person und ihrem Verhalten (beides kann ich nicht ändern) und lege ihn stattdessen auf meine eigene Angelegenheit. Sobald ich Klarheit darüber habe, was genau der Störfaktor ist, kann ich nach Lösungsmöglichkeiten suchen und gezielt Veränderungen in die Wege leiten. Das kann ich nicht, solange ich auf die andere Person und ihr ärgerliches Verhalten fokussiert bin.

Zugegeben, das ist nicht Bestandteil im Lehrgang „Erwachsenwerden für Anfänger“, sondern es ist wirklich anspruchsvoll und verlangt Achtsamkeit und Augenmaß. Es bedeutet auch nicht, dass man sich jede Unverschämtheit selig und dankbar lächelnd gefallen lassen soll. Es bedeutet – s.o. – die Chance zu erkennen, aus einer unangenehmen Situation für sich selbst noch einen Nutzen zu ziehen, indem man das persönliche Wachstum vor die persönlichen Befindlichkeiten stellt. Diese Priorität hilft dabei, nicht die Nerven zu verlieren bzw. nach kurzem Ärgeranfall den Focus auf das zu legen, was ich jetzt tun kann.

Wenn wir uns daran erinnern, dass Veränderungen immer bei uns selbst geschehen, ist so ein Arschengel nicht mehr und auch nicht weniger als ein Indikator für Veränderungspotenzial in uns selbst. Damit kann man leben, oder?

©ao

Führung und Fügung

Führung und Fügung

 

 

Führung und Fügung

Kennen Sie das? – Sie verpassen die Bahn und kommen nicht rechtzeitig zu dem Konzert, auf das Sie sich so gefreut haben. Die nächste Bahn fährt in einer Stunde. Das lohnt sich nicht und Sie gehen total frustriert wieder nach Hause. Wie ärgerlich! Am nächsten Tag lesen Sie in der Zeitung, dass der Dirigent krank war, der Ersatzmann nicht gut vorbereitet und die Musiker lustlos. Oder: Der Grafiker verschläft es, den Druckauftrag für den Flyer zu erteilen und wochenlang passiert nichts. Was soll das? Sie schauen sich Ihre Unterlagen noch einmal an und haben plötzlich noch einen wichtigen Änderungswunsch, der dann tatsächlich noch berücksichtigt werden kann. Irgendwie fügt sich vieles von allein, wenn wir das zulassen.

Wir haben alle schon einmal so etwas erlebt und vermutlich meistens das Wort „Zufall“ als Erklärung herangezogen. Wir glauben nicht so recht daran, dass es eine Instanz gibt, die schlauer ist als wir und einen sinnvollen Plan verfolgt. Schließlich kennen wir den Plan ja auch nicht und sind ohnehin geneigt, den Sinn von irgendetwas nur dort zu erkennen, wo wir ihn auch sehen bzw. verstehen können. Das könnte eine Folge der Überbetonung der Rationalität in unserem Leben sein, weil die Idee „Ich denke, also bin ich“ für viele zur Lebensmaxime geworden ist.

Das hat zum Beispiel zur Folge, dass die Einstellung „Der Mensch denkt, Gott lenkt“ von vielen als Unsinn abgetan wird und auch die mit dem altmodischen Wort „Gottvertrauen“ beschriebene Zuversicht in das Leben etwas für realitätsferne Träumer ist. Wir glauben lieber unserem Verstand und Gott ist nach Nietzsche sowieso tot. Dabei übersehen wir, dass es hier weniger um irgendeinen Gott geht oder die Frage, ob wir daran glauben oder welchen Kult wir üben. Es geht vielmehr darum, dass es in uns eine wichtige Instanz gibt, die maßgeblich an jeder unserer Entscheidungen beteiligt ist. Ich bezeichne sie hier als Intuition – es gibt noch unzählige andere Beschreibungen und Namen (u.a. innere Führung oder auch Gott J), die letztlich alle das gleiche meinen. Ich folge also der Intuition und bin zwar frustriert, dass ich die Bahn verpasst habe, fahre aber trotzdem nicht mit dem Taxi zum Konzert; ich rücke dem Grafiker nicht unnötig auf die Pelle und akzeptiere, dass er möglicherweise gerade andere Prioritäten hat.

Ich treffe intuitiv die Entscheidung, die Dinge so zu lassen, wie sie gerade sind und nicht partout meinen Willen durchzusetzen. Ich treffe diese (unbewusste) Entscheidung auf jeden Fall zuerst und mein Verstand verarbeitet das danach zu bewussten Argumenten. Damit will ich ausdrücken, dass es uns in der Regel sehr schwer fällt, die Gegebenheiten (Situationen, Menschen,…) einfach so anzunehmen wie sie sind in der Idee, dass alles richtig und in Ordnung ist, dass es einen Sinn hat – auch ohne dass wir ihn erkennen und / oder verstehen. Wir brauchen für alles eine „vernünftige“ Erklärung, sonst läuft unser Verstand Amok.

Etwas klarer wird es, wenn wir unsere tagtäglichen Entscheidungen immer mal wieder beleuchten und herausfinden, was uns tatsächlich dahin geführt hat. Dabei hilft es vielleicht, wenn wir das Zitat so lesen: „Der Verstand denkt, die Intuition lenkt“. Was hat mich also wirklich zu dieser Entscheidung geführt? Was ist meine eigentliche Motivation? Was ist mir wirklich wichtig? Aber auch: Wie sieht das im Zusammenhang aus? Sind übergeordnete Interessen berührt? Gibt es Zusammenhänge, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen?

Oft glauben wir auch nur, eine Entscheidung getroffen zu haben, weil der Verstand etwas beschlossen hat (Der Flyer muss fertig werden! SCHNELL!!!). Die Realität gestaltet sich ganz anders: Ich möchte mein Angebot jetzt noch nicht realisieren. Das ist die eigentliche Entscheidung und die hat nicht der Verstand getroffen. Wenn ich es schaffe zu akzeptieren, dass ich mich noch nicht hinreichend präpariert fühle, um jetzt loszulegen, kann ich den Sinn darin erkennen, dass auch der Flyer noch nicht fertig ist – wozu auch? Ich folge also der Führung und es fügt sich. Der Verstand erklärt das im Nachhinein, entscheidet aber nicht. Das ist wichtig.

Dabei gehe ich davon aus, dass meine (innere) Führung immer das Beste für mich will und dass die jeweilige Fügung dann das Beste für mich ist – sofern ich der Führung auch wirklich folge und nicht „korrigierend eingreife“ – also zum Beispiel mit dem Taxi zum Konzert fahre und mich dann über den verkorksten Abend schwarz ärgere. Das ist anspruchsvoll! Es stellt unser gewohntes Denken völlig auf den Kopf und verlangt Hingabe an das, was jetzt ist. Das Zusammenspiel von Führung und Fügung braucht neben Hingabe außerdem eine gehörige Portion Gelassenheit. Wie schön, dass das Leben geduldig mit uns ist und immer wieder dafür sorgt, dass wir nicht aus der Übung kommen!

©ao

Prioritäten

Prioritäten

Prioritäten

„Wenn du wissen willst, was du willst, dann höre nicht auf das, was du sagst, sondern schau auf das, was du tust.“ Meine erste Reaktion auf dieses Zitat war: „So ein Quatsch“ – und wie immer sind wir an den Orten des größten inneren Widerstands der Wahrheit am nächsten.

‚So ein Quatsch‘ ist es nämlich nicht, sondern eher eine unbequeme Wahrheit, die uns darauf aufmerksam machen möchte, wie gut wir uns mit Worten selbst belügen können. Aus irgendeinem Grund kommt die wahre Priorität nicht zum Tragen. Vielleicht kennen wir unseren ureigensten Wunsch gar nicht, er ist uns einfach nicht bewusst und wir glauben, dass wir etwas anderes wollen. Oder wir gestehen uns diesen Wunsch nicht zu, haben Angst und trauen uns nicht, schämen uns, haben jetzt keine Zeit dafür, glauben, dass andere Dinge Vorrang haben – es gibt noch viele bewusste und unbewusste Gründe, in die eine oder andere Richtung Ausreden zu installieren.

Ich meine damit nicht Ausreden in der Art von „ Ich würde schrecklich gern zu deinem Blockflötenkonzert kommen, aber …“, wenn wir einfach nur keine Lust dazu haben, sondern ich meine die oft unbewussten Vermeidungsstrategien, mit denen wir uns selbst behindern und den eigenen Erfolg torpedieren. Wir meinen unser Pflichtgefühl ernst, wenn wir erst noch für die Kinder kochen müssen, bevor wir zum Beispiel bei der Laienbühne anrufen und um einen Termin zum Vorsprechen nachfragen. Und wenn wir nicht aufpassen, kommen noch dreitausend andere wichtige Dinge dazwischen und irgendwann „hat es ja dann eh keinen Zweck mehr“. Bei Licht betrachtet haben wir Angst, beim Vorsprechen abgelehnt zu werden und vermeiden deshalb die Herausforderung – so schnell verhungern die Kinder schließlich nicht, wenn es mal eine halbe Stunde später wird mit dem Essen.

Ganz häufig ist es die bewusste oder unbewusste Angst vor „Misserfolg“ in irgendeiner Art, die uns zu Weltmeistern im Ausredenerfinden werden lässt und damit die Prioritäten bestimmt. Das Angstgefühl hat sich also die Pole-Position gesichert und fährt vorweg. Angstgefühle gestehen wir uns aber nun einmal nicht so gern ein – meistens sind sie ja auch völlig unbegründet und eigentlich wissen wir das, aber… Die Bedenkenträger in unserem Kopf kennen jede Menge Techniken, uns zu verunsichern und dahingehend auf Kurs zu halten, dass wir bloß nichts ändern, kein Risiko eingehen. Wenn wir gar nicht erst anfangen, können wir schließlich auch nicht scheitern. Logisch, oder? Wenn wir nicht fertig werden (zum Beispiel mit einer Arbeit), weil immer noch etwas zu verbessern ist, vermeiden wir letztendlich auch nur die möglicherweise kritische Rückmeldung, also das „Scheitern“.

Noch wichtiger als die Frage danach, was jetzt Priorität hat, ist offensichtlich die Frage nach der Motivation – warum ist mir das jetzt so wichtig? Wozu ist das wirklich gut, wobei hilft mir das? Und dann darf ich noch einmal fragen: Will ich es wirklich? Ist es jetzt und hier tatsächlich so wichtig, dass alles andere hinten anstehen muss? Wie komme ich meinem eigentlichen Wunsch näher und wie stelle ich die Bedenkenträger ruhig? Wieder einmal darf ich mich im Vertrauen üben, dass ich es schon hinbekomme, wenn es wirklich wichtig ist. Und ich darf mich auch immer wieder dahingehend ermutigen, dass es in Ordnung ist, wenn etwas Wichtiges mehrere Versuche braucht, um richtig gut zu werden. Wirklich wichtig ist, dass ich selbst bestimme, was in meinem Leben Priorität hat und da auch ehrlich zu mir selbst bin. Eine wunderbare Langzeitübung 🙂

© ao