Selbstfürsorge

Selbstfürsorge

Selbstfürsorge

Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt. Das ist mal wieder simpel, aber nicht einfach. Wie sorgt man denn eigentlich für sich? Und ist das nicht schrecklich egoistisch? Ich habe Pflichten zu erfüllen und die anderen brauchen mich doch schließlich. Das ist nicht grundsätzlich falsch und auch nicht grundsätzlich richtig.

Mit Selbstfürsorge ist nicht gemeint, dass ich mich immer in den Vordergrund stelle und für meine eigenen Interessen alles andere stehen und liegen lasse. Das ist Egoismus und etwas ganz anderes. Selbstfürsorge meint, dass ich für mich und meine Bedürfnisse die Verantwortung übernehme und selbst dafür sorge, dass ich habe, was ich brauche.

Das kann durch Tun oder Lassen geschehen. Bevor ich jedoch irgendetwas tu oder lasse, muss ich mir Klarheit über meine jeweiligen Bedürfnisse verschaffen. Was brauche ich in diesem Moment wirklich? Wie wichtig ist mir das? Was kann ich dafür tun (oder lassen), dass ich es bekomme?

Das eigentliche Problem liegt im Erkennen der tatsächlichen Bedürfnisse im jeweiligen Moment. Meistens sind sie nicht offensichtlich und oft verbieten wir sie uns selbst – das kann man doch nicht machen! Genauso oft verschleiern auch vorgelagerte Wünsche das momentane Bedürfnis. Ich wünsche mir acht Wochen Urlaub auf einer einsamen Insel und was ich tatsächlich im Moment brauche ist ein Rückzug und einfach mal meine Ruhe. Da hilft vielleicht schon ein halbstündiges Nickerchen, eine Tasse Tee auf dem Balkon oder ein Spaziergang in der Mittagspause. Ein Urlaub ist zwar gut, hilft aber jetzt nicht, denn er ist nicht so einfach machbar. Ein Spaziergang meistens schon. Daran denken wir aber nicht, weil wir gedanklich auf den Urlaub fixiert sind, der dann später alles retten soll.

Im Klartext bedeutet das, dass wir die Verantwortung für das Jetzt an einen Traum in der Zukunft abgeben. Wenn ich jetzt mal meine Ruhe brauche, muss ich jetzt dafür sorgen, dass ich sie so schnell es geht bekomme. Oder den Urlaub buchen und bis dahin durchhalten, was in der Regel nicht wirklich befriedigend ist und – s.o. – vor allen Dingen jetzt nichts nützt. Die momentanen Bedürfnisse sind in aller Regel gar nicht so riesengroß, dass an ihre Erfüllung gar nicht erst zu denken ist.

Oft sind es auch Routinen und Gewohnheiten, die uns daran hindern, mit uns selbst etwas pfleglicher umzugehen. Ich muss erst noch den Hund füttern, die Wäsche aufhängen usw. Wirklich? Und was hindert mich daran, morgens ein paar Minuten früher aufzustehen und den Tag zum Beispiel mit einer Meditation zu beginnen? Richtig: Bequemlichkeit. Ich bin mir selbst nicht wichtig genug, um mich z.B. für mein Bedürfnis, den Tag in Ruhe zu beginnen, eher aus dem Bett zu bewegen. Das ist ja soooo anstrengend! Stimmt vielleicht, aber die Anstrengung ist in diesem Fall für mich und für etwas, das mir gut tut. Nicht die Anstrengung sollte mir das wert sein, sondern ich. Jeder wird schon einmal die Erfahrung gemacht haben, dass etwas, wozu er sich nur mäßig gern aufgerafft hat, am Ende einfach nur gut getan hat.

Selbstfürsorge hat also mit dem Selbstwertempfinden zu tun. Das ist für die meisten von uns ein heikles Thema. So gut wie jeder hat irgendwann „gelernt“, dass er dieses oder jenes nicht wert ist bzw. aus dem Verhalten der anderen diesen Schluss gezogen. Wenn Mama keine Zeit für mich hat, bin ich es wohl nicht wert, dass man Zeit für mich hat. In der Folge habe ich also auch keine Zeit für mich selbst, denn irgendetwas oder irgendjemand anderes ist immer wichtiger als ich.

Es ist also ein Gefühl von Wertlosigkeit, das da irgendwo in uns verborgen liegt. Es fühlt sich so grausam an, wie es klingt und deshalb haben wir es ja so gut versteckt. Sich wertlos zu fühlen macht unendlich traurig und genau vor diesem Schmerz der Traurigkeit fürchten wir uns. Ganz sicher waren wir als Kinder traurig, wenn niemand Zeit für uns hatte und das wollen wir einfach nicht spüren, weil es weh tut. Andererseits ist es wichtig, das Gefühl anzuerkennen und zu spüren, denn im Grunde finde ich es ja auch heute traurig, dass ich so wenig Zeit für mich habe.

Heute ist es aber niemand anderes, der dieses Gefühl auslöst, sondern ich bin es selbst. Das bedeutet, dass ich es auch ändern kann und das ist eine gute Nachricht. Wenn ich erkenne, dass ich für meine Bedürfnisse selbst verantwortlich bin und auch in der Lage, sie zufrieden zu stellen, brauche ich auch niemanden mehr, der das für mich tut. Das macht mich sowohl zufriedener als auch unabhängiger von anderen. Mir geht es einfach besser und manchmal reicht dafür wirklich schon eine kleine Pause, ein Blumenstrauß oder ein schönes Morgenritual, das mich den Tag entspannt beginnen lässt. Auf jeden Fall ist es ein guter Anfang.

© ao

Komfortzonen

Komfortzonen

 

Komfortzonen

Vor ein paar Tagen ist mir ein Flyer in die Hände gefallen, der eine an ein indianisches Initiationsritual angelehnte Visionssuche anbietet. Zehn Tage dauert das – jeweils drei dienen der Vor- und Nachbereitung und die vier Tage in der Mitte verbringt man fastend und mit minimaler Ausstattung allein in der Wildnis bzw. dem, was in unseren Breiten davon noch übrig ist. „URGH“ war mein erster Gedanke, „das ist aber nichts für mich“.

Zugegeben, ein solches Ritual ist auch extrem, aber die dahinter liegende Idee hat Charme: Unsere Potenziale entdecken wir jenseits unserer Begrenzungen. Es müssen ja nicht gleich zehn Tage sein und ja, es gibt auch Begrenzungen, die schwierig oder vielleicht gar nicht zu überschreiten sind. Das Grundproblem liegt aber noch gar nicht in der Überschreitung der Grenzen, sondern darin, sie überhaupt erst einmal zu erkennen und zu spüren, sie als Begrenzung wahrzunehmen.

Der Blick darauf tut erst einmal nicht weh, oder vielleicht doch… Was begrenzt mich? Wodurch lasse ich mich begrenzen? In welcher Art und Weise begrenze ich mich selbst? Das ist insofern die schwierigste Frage, als dass ich mal wieder selbst zuständig bin. Eigentlich und bei Licht betrachtet begrenze ich mich nämlich immer nur selbst. Meine Grenzen bestimme ich – häufig bewusst und noch viel öfter unbewusst. Ich begrenze mich zum Beispiel, indem ich der Begrenzung durch andere zustimme – auch wieder bewusst oder unbewusst. Ich begrenze mich aber auch durch meine eigene Bequemlichkeit.

Es ist eben kuschelig in der Komfortzone, wo ich alles fein zurechtgelegt habe, was ich für mein Leben so brauche. Es gibt auch immer gute Argumente dafür, warum dieses oder jenes gerade jetzt nicht opportun ist oder ich auf dieses oder jenes im Prinzip zwar verzichten könnte, aber nicht jetzt. In der Komfortzone ist keine Entwicklung möglich. Es ist zwar bequem, aber auf die Dauer auch leblos, weil es nicht vorangeht. Das Leben stagniert dort früher oder später.

Wenn wir uns also weiter entwickeln wollen, Potenziale ausschöpfen, Visionen entwickeln und mit Leben füllen wollen, müssen wir unsere ganz persönliche Kuschelzone verlassen. Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Bereich. Ohne Bewegung und ohne das Risiko, am Ende zu scheitern, passiert nichts. Die individuellen Grenzen sind so verschieden wie die Menschen und es hat auch nicht jeder die gleichen Ziele oder Mittel, um sie zu erreichen. Aber das Grundprinzip ist für alle gleich.

Um ein Gespür für meine Grenzen und Begrenzungen zu haben ist es gut, wenn ich mir Klarheit über meine Wünsche und Bedürfnisse verschaffe. Was will ich wirklich? Was brauche ich unbedingt? Habe ich das? In welchem Umfang? Oder auch: Warum habe ich es nicht? Was hindert mich daran? Wo und in welcher Weise stehe ich mir selbst im Weg?

Die allermeisten unserer Begrenzungen entstehen im Kopf. Im Grunde sind es nur Gedanken. Wir könnten ohne Probleme auch anders darüber denken, wenn wir uns das erlauben würden. Allerdings sind wir in der Regel eher dazu bereit, eine „verwegene Idee“ zu verwerfen als gute Gründe dafür zu finden. Die vermeintliche Sicherheit des Bekannten ist einfach sehr verlockend.

Eine andere Frage, die einen an die eigenen Grenzen heranführt, könnte lauten: „was kann / darf / soll jetzt gehen?“. Was tragen wir an inneren Grenzen in uns, die wir eigentlich nicht brauchen? Was ist in unserem Leben schon lange nicht mehr so, wie wir es brauchen und wir halten trotzdem daran fest? Welches Gedanken- und Gefühlsgerümpel in mir verhindert, dass etwas Neues in mein Leben treten kann? Ein immer wieder gern zitiertes Beispiel dafür ist der Kleiderschrank, der einfach gelegentlich von altem Kram befreit werden muss, damit ein neues Outfit Platz findet.

Wir trennen uns einfach nicht gern von dem, was wir kennen, und laufen damit Gefahr, immer wieder beim bereits Bekannten zu landen. Das ist auf jeden Fall bequem und in vielen Fällen sogar angenehm, aber eben auch sehr begrenzt.

Es erfordert Vertrauen, das Alte abzulegen ohne das Neue zu kennen. Da kann man es schon mal mit der Angst zu tun bekommen. Angst ist das Gegenteil von Vertrauen. Wo immer ich die Angst regieren lasse, habe ich das Vertrauen aufgegeben. Das Vertrauen zu mir selbst und meinen Fähigkeiten, das Vertrauen ins Leben und darin, dass immer genug von allem für alle da ist. Das ist schade und oft auch schädlich.

Welche Grenze kann ich als nächste überschreiten? Wer kann mir dabei helfen? Was darf gehen in meinem Leben? An welcher Stelle kann ich mir einen neuen Anfang vorstellen? Wo brauche ich ihn? An welche Grenze traue ich mich nicht heran? Was genau beängstigt mich dort? Fragen, die sich lohnen, wenn man in Bewegung kommen will. Wie gesagt, es müssen ja nicht gleich zehn Tage im dunklen Wald sein…

© ao